POLL

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Ein genial subtiles und manchmal sogar regelrecht groteskes Drama.

Inhalt

POLL

Ausgehend von den Jugenderlebnissen der Schriftstellerin Oda Schaefer entstand mit dem dem Film POLL, vom Regisseur Chris Kraus, ein aber in jedem Fall sehr ansehenswertes und imposantes Historiengemälde.

Die Inspiration für die Verfilmung zu einem fast vergessenen Kapitel der europäischen Geschichte, einer ungewöhnlichen Coming-Of-Age-Story, einer alles wagenden Liebe, lieferte eine Verwandte des Regisseurs – die Schriftstellerin Oda Schaefer (DIE HAUT DER WELT, BALLADEN UND GESCHICHTE).

POLL basiert somit in groben Zügen auf den Memoiren der 1988 in Berlin gestorbenen Autorin. Sie verbrachte 1914, kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges, auf dem Gut POLL einen Teil ihrer Kindheit. Jedoch nicht nur die Vorboten des Weltkrieges überschatten ihren Aufenthalt in Estland, auch die faktisch vor der eigenen Haustür stattfindende Hatz zaristischer Truppen auf estnische Anarchisten prägte die weitere Entwicklung: Oda Schaefer entwickelte politische wie soziale Ansichten, die sich vollkommen gegensätzlich zu denen ihres Vaters (Anmerkung: Schaefers Vater war kein Mediziner sondern Schriftsteller) verhielten.

Chris Kraus

Der 1963 in Göttingen geborene Journalist, Illustrator, Drehbuchautor und Regisseur Chris Kraus studierte an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin.

Nach seiner Ausbildung arbeitete Kraus zunächst als Autor und dramaturgischer Berater, u.a. für Detlev Buck, Rosa von Praunheim, Volker Schlöndorff und Pepe Danquart. Für sein Regiedebüt SCHERBENTANZ erhielt er 2002 gleich zwei Bayerische Filmpreise. Auch das Meisterwerk VIER MINUTEN, aus dem Jahr 2006, in dem die unvergessene Monika Bleibtreu sowie die Newcomerin Hannah Herzsprung zu sehen sind, wurde vielfach prämiert.

POLL, Filmkritik

Es ist ein Gewissens- und Liebesmärchen im „altertümlich“-ostpreusischen Provinzdialekt. Dabei gibt es neben Pathos mit Entscheidungen auf Leben und Tod, für den Zuschauer viele große Gesten unter weißen Sommerhüten zu bewundern.

Chris Kraus zeigt dabei keine Angst vor cineastischen Stolperfallen, auch wenn es manchmal kurz vor dem Straucheln scheint. Allein die Komplexität der Geschichte und die äußerste Sorgfalt bei ihrer Umsetzung beweist die große Bedeutung, die POLL für den Regisseur hat und lässt eventuell aufkommende Missstimmung im Gesamtwerk verschmelzen.

So ist das auf Stelzen ins Meer gebaute, verwitterte, hochherrschaftliche Holz-Gebäude nicht nur ein perfektes Symbol für den bevorstehenden Krieg, sondern ebenso ein Beispiel für das eindrucksvolle Produktionsdesign und die gleichermaßen vollbrachte, solide Kameraarbeit.

Daniela Knapp -die Kamerafrau in POLL– fängt die nordischen Lichtstimmungen einfach genial ein. Solch‘ herausragende Bilder mit einem fantastischen Licht-und Schattenspiel -wenn beispielsweise eine Gruppe berittener Kosaken durch einen See galoppiert- sieht der Zuschauer ganz selten im deutschen Kino. Kurzum: Eine Filmlandschaft die zum Bereisen einlädt und durch die auf wundersame Weise ein fast literarischer Atem weht.

Nur an einigen Stellen wird die Symbolhaftigkeit, die Bild- und Tonkombination vielleicht etwas übertrieben. Deshalb mag die Musik auf den einen oder anderen etwas zu vordergründig oder im Zusammenhang mit dem Thema des Films zu pompös wirken.

Persönlich mag ich das aber nicht bestätigen. Hingegen ohne jeden Zweifel -was die  Auswahl und die gebotene Leistung betrifft- sind die sehr überzeugend agierenden Darsteller. Allen voran, die junge Paula Beer und buchstäblich ein Lichtblick in düsteren Zeiten.

Fazit: POLL hat mich von der ersten Minute an in seinen Bann gezogen. Somit schafft der Film mit überaus schönen wie teilweise auch drastischen Bilder und der stimmungsvollen Erzählstimme aus dem „off“ spielerisch einen Spagat zwischen dem Thriller DAS SCHWEIGEN DER LÄMMER und dem Drama DER ENGLISCHE PATIENT.

POLL, Filminhalt

Im Film stattet Oda (Paula Beer) ihrem in Estland lebenden Vater (Edgar Selge, DAS EXPERIMENT, IM NÄCHSTEN LEBEN) und dessen neuer Ehefrau (Jeannette Hain, DIE GRÄFIN) einen Besuch ab.

Im Reisegepäck: Ein mit Eis präparierten Sarg, in dem ihre tote Mutter liegt. Deren letzter Wusch war es, auf dem Gut POLL, auf dem sie den Großteil ihre Lebens verbrachte, bergraben zu sein…

Der Vater, ein Medizinprofessor, der auf Grund seiner umstrittenen, fachlichen Ansichten und Methoden seinen Lehrstuhl in Berlin räumen musste, betreibt in POLL ein makabres Geschäft. Er kauft von der russischen Armee gefallene oder verwundete, estnische Anarchisten, um an ihnen, in einem zum Laboratorium umgebauten Sägewerk, seine in Deutschland begonnenen, medizinischen Studien und Experimente weiterzuführen.

Das kluge Mädchen teilt schon kurz nach ihrer Ankunft mit dem Vater das morbide Interesse, jedoch aus einem ganz anderen Beweggrund als der Professor…!

Als wiedermal eine Schlacht vor dem Gelände des Hauses tobt, flüchtet sich ein schwerverletzter Freiheitskämpfer (Tambet Tuisk) in eine nahegelegene, kleine Kapelle.

Oda zeigt Zivilcourage. Sie versteckt ihn auf dem Dachboden des Laboratoriums. Nach anfänglicher Scheu freundet sich das frühreife und keke Mädchen mit dem Mann, der sich selbst „Schnaps“ nennt, an, versorgt ihn medizinisch und aus anfänglicher, purer Menschlichkeit wird bald eine unschuldige Zuneigung – für die sie sogar neben dem eigenen Leben das der restlichen Familie riskiert.

Aber inmitten dieser Wirren läuft das großbürgerliche Leben mit Dinner- und Picknickgesellschaften fast ungerührt weiter. So hat die neue Frau ihres Vaters eine Affäre mit dem Gutsverwalter (Richy Müller, u.a. DIE INNERE SICHERHEIT, VIER MINUTEN). Dieser wiederum missbilligt das Treiben des Professors und wird für Ode zur tragischen Schlüsselfigur…


Studio / Verleih / Bild-und Textnachweis: Piffl Medien

POLL, 9.1 out of 10 based on 8 ratings

2 Kommentare zu POLL

  1. wie historisch die Zuschauer fehlgeleitet werden, sieht man daran, dass obiger Rezensent die Aussprache für einen „altertümlichen, schlesischen Provinzdialekt“ hält. Jedenfalls ist der Versuch, baltische Aussprache zu versuchen misslungen. Und dem selbstgestellten Anspruch, einen Historienfilm gemacht zu haben, wird der Film nicht gerecht.

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